Wenn Leute mich fragen, wie es denn so in Israel war, weiß ich immer nicht richtig, wie ich darauf antworten soll. „Schön“. Nein, das reicht nicht. Und es war ja auch nicht nur schön. Aber auch. Von August 2019 bis März 2020 war ich in Tel Aviv und habe einen Freiwilligendienst in einem Heim für Autisten geleistet. Wir haben zu fünft gelebt, in einer kleinen WG gleich auf dem Gelände des Heims, und am Anfang waren wir überfordert: von dem Land (Woher wissen wir, an welcher Bushaltestelle wir aussteigen sollen, wenn wir noch nicht einmal ihren Namen lesen können? Warum laufen hier überall und ständig hochgradig bewaffnete Menschen durch die Gegend? Wie, wir sollen als erstes nach einem Bunker für den Fall eines Bombenangriffs fragen?) und von der Arbeit (Ah, der eine Friend wird beim Anblick von Haargummis aggressiv, klar kann ich meine Haare offen tragen. Ääähm, er hat sich gerade grundlos nackt ausgezogen … Ah, das ist normal, okay, dann geb ich ihm mal ein neues Shirt? Fuck, wieso hat er mich jetzt geschlagen?).

Wie wir festgestellt haben, gewöhnt man sich an all das sehr schnell und beginnt zu verstehen, wieso was in welcher Art und Weise funktioniert. Trotzdem finde ich es bis heute schwer, Leuten ehrlich zu erklären, was ich gemacht habe, ohne das kleinzureden (Ja, manchmal sind Autisten ausgerastet, vor einem hatte ich auch bis zum Ende wirklich Angst. Ja, ich habe sämtliche Körperflüssigkeiten gesehen und sauber gemacht.

Und ja, wir hatten einen Raketenangriff und niemand wusste, was wir tun sollten.) und gleichzeitig dennoch herüberzubringen, wie viel mir dieses Jahr gegeben hat, dass ich es jedes Mal wieder genauso machen würde und dass ich diesen Freiwilligendienst jedem empfehlen würde, der mich fragt. Wir durften so viele unglaubliche Erfahrungen sammeln, die wir sonst wahrscheinlich so nie gemacht hätten: Wir haben an Shabbat-Essen teilgenommen, mit Vertretern von religiösen Minderheiten gesprochen, jüdische Feste miterlebt, im Toten Meer gebadet, Yad Vashem besucht, die Klagemauer gesehen, ein paar wenige Worte Hebräisch gelernt und die vielleicht besten Falafel der Welt gegessen. Und auch die Autisten, die Friends, sind irgendwie in unseren Herzen geblieben.

Letztens habe ich mit meiner dortigen Mitbewohnerin und heutigen guten Freundin Pia telefoniert, und wir haben festgestellt, dass wir ganz oft durch die Straße laufen und für eine Sekunde denken, wir hätten einen Friend gesehen – bis uns einfällt, dass das unmöglich ist. Ich glaube, dass uns diese Zeit sehr geprägt hat und bin sehr froh, dass mir diese Gelegenheit durch die ZWST geboten wurde und ich sie auch wahrgenommen habe und genießen konnte.

Kleine Anmerkung für Leute, die die Arbeit in solchen Einrichtungen interessiert: es gibt einen französischen Film „Hors Normes“ oder im Deutschen „Alles außer gewöhnlich“, der das Thema meiner Meinung nach sehr gut beleuchtet.

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